Orgel
Die Orgel ist ein Werk des Stralsunder Orgelbaumeisters Friedrich Albert Mehmel (1827-1888).
Die Orgel ist eine mechanische Kegelladenorgel mit zwei Manualen, Pedalklaviatur und zehn Registern mit ungefähr 400 Pfeifen. Kegelladen wurden seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Orgeln eingebaut. Bei jeder Pfeife befindet sich ein kegelförmiges Ventil, durch das beim Spielen des entsprechenden Tones der Wind aus der unter allen Pfeifen eines Registers laufenden Registerkanzellen in die Pfeife strömt.
Unsere Orgel hat eine „spätromantische“ Disposition. Anders als andere Orgelbauer strebte Mehmel eine große Verschmelzungsfähigkeit der unterschiedlichen Orgelregister an. Ein warmer voller Klang im lauten Spiel und leuchtende Klangfarben im leisen Spiel zeichnen seine Orgeln aus. Der Klang unserer Orgel ist kräftig, aber nicht so hart wie bei Orgeln von Friedrich Wilhelm Winzer oder teilweise bei denen von Friedrich Friese.
Die Klangkonzeption von Mehmel-Orgeln steht stilistisch zwischen zwei Epochen: Sie ist nicht mehr klangtypisch für die Orgelmusik von Felix Mendelsohn Bartholdy (1809-1847) und noch nicht für die von Max Reger (1873-1916). Vermutlich war sie weniger für das Spiel von typischer Literatur gedacht als für das freie Improvisieren, was damals von Organisten erwartet wurde.
Mehmel hatte eine Werkstatt in Stralsund übernommen und baute in ganz Norddeutschland Orgeln, etwa 15 Orgeln in Mecklenburg, 45 in Vorpommern, darunter nur wenige mit Kegelladen. Es waren überwiegend kleinere Orgel mit 10 bis 15 Registern in Dorfkirchen, aber auch einige große Instrumente mit zum Teil 60 bis 70 Registern wie in den Wismarer Kirchen, Stralsund St. Jakobi, Greifswald St. Jakobi und dem Ratzeburger Dom. Die meisten großen Mehmel-Orgeln wurden Opfer der Bombenangriffe des zweiten Weltkriegs, die Ratzeburger wurde 1966 ersetzt. In Vellahn, südlich der Schaalseeregion, gibt es in der Kirche eine Mehmelorgel, die aus derselben Zeit wie unsere Herrnburger Orgel stammt.
Unsere Orgel wurde 1883/84 nach Entfernung der alten doppelstöckigen Empore mit der heute noch vorhandenen Empore und den Bänken gemeinsam eingebaut. Es war ein großes Projekt mit langem Vorlauf: Mindestens seit den 1850er Jahren wünschte sich die Herrnburger Gemeinde eine Orgel und begann 1858 unter dem Pastor Johannes Rußwurm (Neffe des berühmten Vorgängers Johann W. B. Rußwurm), dafür Spendenzusagen zu sammeln. Das Projekt wurde unter Pastor Wilhelm Friedrich Johann Janell verwirklicht, der 1881 die Pfarrstelle übernommen hatte. Die Orgel kostete damals 2.850 Mark. Die Finanzierung wurde u.a. von der Großherzog-Mecklenburgischen Landesregierung mit 500 Mark gefördert. Das erste große Orgelkonzert wurde am 14. September 1884 in der Herrnburger Kirche gegeben mit Werken von Felix Mendelsohn Bartholdy, Josef Haydn, Wilhelm Volckmar, Adolf Friedrich Hesse und Johann Gottlob Töpfer.
Im September 1917 wurden die aus Zinn gefertigten Prospektpfeifen unserer Orgel im Auftrag des Kriegsministeriums als Kriegsbedarf beschlagnahmt und ausgebaut. Sie wurden durch Zinkpfeifen ersetzt.
Irgendwann in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts hat man die spätromantische Disposition der Orgel zu einer neobarocken Disposition verändert, wie es damals Mode war. Dazu wurden etliche Pfeifen abgesägt.
Als Pastor Johannes Wunderlich 1983 und 1984 die Kirche renovierte, wurde auch die Orgel überholt. Sie wurde gereinigt, der an ihr nagende Holzwurm wurde bekämpft, die Pedalklaviatur erneuert und ein Motor für das Gebläse eingebaut. Die ursprüngliche Farbe der Orgel war braun und entsprach etwa der Farbgebung der Empore. Die Orgel ist aus Kiefernholz, das mit einer Bierlasur dunkler gestrichen war. Bei der Renovierung von 1984 erhielt sie ihren jetzigen blau-weißen Farbanstrich.
Die Materialbeschaffung war im damaligen Sperrgebiet allerdings schwierig. Zudem war der ausführende Orgelbauer wohl noch jung und unerfahren. Mit dem Ergebnis der Orgelrenovierung war man nicht lange zufrieden. Schon 1987 musste die Orgel erneut überholt werden. 1993 wurden wieder Kostenvoranschläge für eine Generalüberholung der Orgel eingeholt. Zu Arbeiten kam es jedoch nicht. Die Kosten waren zu hoch. Seitdem gingen wieder 20 Jahre ins Land gegangen, in denen sich der Zustand unserer Orgel weiter verschlechterte. Ein Holzwurm hatte noch immer Appetit. Einige Register fielen aus, die Klaviaturen leierten aus. Manche Musikstücke ließen sich gar nicht mehr spielen, häufig musste die Organistin über die Schwächen der Orgel hinweg improvisieren.
Darum wurde die Orgel von August 2014 bis März 2015 restauriert. Die Firma Reinalt-Johannes Klein aus Lübeck baute die Orgel komplett ab, säuberte sie, bekämpfte den Holzwurm, ersetzte etliche schadhafte Teile, ersetzte die ausgeleierte moderne Pedalklaviatur durch den Nachbau einer originalen Pedalklaviatur, belederte den Blasebalg neu, reinigte und stimmte die Pfeifen und lackierte die Prospektpfeifen neu. Die Renovierungsarbeiten nahm Herr Tobias Rühl vor, das Stimmen der Meister Herr Reinalt-Johannes Klein. Wie so oft bei Renovierungsarbeiten zeigten sich die wahren Schäden erst während der Arbeit. So waren die erheblichen Schäden am Blasebalg erst zu erkennen, als die Orgel abgebaut war, da bei dieser Orgel der Blasebalg innen sitzt.
Die Kosten beliefen sich schließlich auf 30.000 Euro, 10.000 Euro mehr als ursprünglich kalkuliert. Dank zahlreicher Spenden und Unterstützung durch die Denkmalpflege des Landes Mecklenburg-Vorpommern und des Kirchenkreises konnte diese Summe aufgebracht werden. Der Orgelbauer versuchte die Orgel im Zuge der Renovierung wieder so nah wie möglich an ihren ursprünglichen spätromantisch-„mehmelschen“ Klang heranzuführen. Die Kürzungen der Pfeifen ließen sich allerdings nicht rückgängig machen. Das fällt insbesondere bei der Gamba auf, bei der die Pfeifen bedingt durch die Kürzung nun zu wenig Abstand zueinander haben.
Das Wiedererklingen der Orgel wurde mit einem Orgelkonzert zur Osternacht, am Karsamstag, den 4. April 2015, gefeiert. Kantor Christoph D. Minke aus Schönberg spielte, teilweise zusammen mit einem Chor, Werke von Marcel Dupré (1886-1971), Franz Liszt (1811-1886), Johann Sebastian Bach (1685-1750) und Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847). Dazu wurden Lesungen über Kreuzabnahme, Grablegung und Auferstehung Jesu Christi aus dem Matthäusevangelium gehalten.
Frank Martin Brunn