Chorraum und Altar
Die Herrnburger Kirche ist urkundlich erstmals 1319 erwähnt.
Ihr ältestes Gebäudeteil ist der quadratische Chor, erbaut zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Er wurde vermutlich zunächst allein als Kapelle an einer alten Zollstelle errichtet oder hat als Pilgerstation gedient. Anfangs hatte diese Kapelle noch keine Sarkristei. Der Eingang lag auf der Südseite und ist heute noch an der Mauernische neben dem Aufgang zur Kanzel erkennbar. Die Sarkristei (eine sog. Gerbekammer) wurde vermutlich angebaut, als man die Kapelle um ein Kirchenschiff erweiterte. Dabei wurde ein Nordfenster der Kapelle zugemauert. Das Schiff war vermutlich anfangs ein Holzbau und wurde im 15. Jahrhundert durch den jetzigen Bau im gotischen Stil ersetzt. Im Jahre 1767 wurde das Kreuzgewölbe des Chores wegen Baufälligkeit entfernt und eine Holzbalkendecke eingezogen. Die Sakristei hat ein Tonnengewölbe. Das Kirchenschiff hat wohl nie Gewölbe besessen.
Den Mittelpunkt des Chorraumes bildet heute der dreiteilige gotische Flügelaltar. Er ist eine Lübecker Arbeit und vermutlich um 1400 entstanden. Er ist vollständig aus Eichenholz von wohl drei verschiedenen Meistern gefertigt worden. Der Mittelschrein ist ein Denkmal überwiegend weiblicher Glaubenstreue. Er zeigt Christus umringt von sieben Frauen und zwei Männern. In der oberen Hälfte ist die Krönung von Maria, der Mutter Jesu, dargestellt: Maria mit Krone, dem neben ihr als Weltherrscher thronenden Christus zugewandt. Christus trägt als Herrschaftszeichen Krone und Weltkugel. Links von dem Paar sind die Märtyrer St. Ignatius von Antiochien (1. Jh. n. Chr.) mit Bischofsstab und St. Katharina von Alexandria (3.-4. Jh. n. Chr.) zu sehen. Katharina hält ein Rad und ein Schwert, weil der Legende nach das Rad, mit dem sie gerädert werden sollte, während der Folter zerbrochen sei und sie dann mit dem Schwert enthauptet wurde. Die Erkennungszeichen von Heiligenfiguren weisen oft darauf hin, wie die jeweils dargestellte Person ums Leben kam. Rechts von Christus und Maria: die Märtyrerin St. Dorothea mit einem Rosen- und Apfelkorb, den ihr ein Engel kurz vor der Enthauptung aus dem Paradies gebracht haben soll, und St. Polykarp (Bischof von Smyrna, 2. Jh. n. Chr.) mit Buch und Bischofsstab. Das Leben der Dorothea lässt sich historisch nicht zuordnen. In der unteren Reihe ist in der Mitte die Verkündigung des Engels an Maria dargestellt. Eine ganz ähnliche Darstellung findet sich in der Taufschale unserer Kirche. Links von der Verkündigungsszene findet sich St. Margaretha mit Blume und Drachen, weil sie, wegen ihres Glaubens ins Gefängnis geworfen, dort dem Teufel widerstanden habe, der ihr in Gestalt eines Drachen erschienen sei. Neben ihr findet sich die Schutzheilige der Spitäler St. Gertrud (7. Jh. n. Chr.) mit einem Kirchen- oder Spitalsmodell. Rechts von der Verkündigungsszene sind die Märtyrerinnen St. Barbara mit Gefängnisturm und Schwert, da ihr Vater sie erst in einen Turm einsperrte und dann eigenhändig enthauptete, und St. Agnes mit Bibel.
In den beiden Seitenflügeln sind in vier Dreiergruppen die 12 Apostel mit ihren Erkennungszeichen dargestellt: Auf dem linken Flügel linksoben St. Matthäus mit Buch, daneben St. Petrus mit Himmelsschlüssel und St. Jakobus (Sohn des Alphäus) mit Tuchwalkerstange und Buch.
Unter Matthäus der bärtige St. Thomas mit Schwert, daneben St. Andreas mit X-förmigen Kreuz und der an Stelle von Judas Iskariot nachgewählte Matthias mit Buch und Beil.
Auf dem rechten Flügel links oben Judas Thaddäus mit Buch und Keule, daneben der bartlose Johannes mit Kelch und Bartholomäus mit Buch und Messer als Hinweis auf sein Martyrium in Indien. Die Legende sagt, man habe ihm die Haut abgezogen. Unter Judas Thaddäus findet sich Jakobus (Sohn des Zebedäus) mit Pilgerstab, Pilgerhut und Buch, daneben Simon Kananäus mit Säge und Buch sowie Philippus mit Winkel und Buch.
Wie in der Kunstgeschichte üblich, harmonisiert die Darstellung der Apostel auf unserem Altar die Angaben in den Evangelien und der Apostelgeschichte. Die Abweichungen bei der Aufzählung der Mitglieder des Zwölferkreises zwischen den vier Evangelien werden nicht berücksichtigt.
Auch die Rückseiten der Altarflügel waren einst bemalt. Die Bemalung stammte aus der Renaissance-Zeit, wurde also dem Altar später hinzugefügt und stellte Christus und Johannes den Täufer dar. Sie ist jedoch, wie auch die bunte Bemalung der Figuren, nicht mehr erhalten. Reste davon wurden bei der großen Restaurierung 1938 entfernt.
Der Flügelaltar stand, wahrscheinlich wegen seiner Heiligen- und Mariendarstellungen, lange Zeit rechts in der hinteren Ecke des Chorraumes. Der Altartisch hatte einen anderen Aufbau, der heute im Turm lagert. 1989/90 wurde der nicht mehr vorhandene Sockel (Predella) des Flügelaltars ergänzt und ein Kruzifix, von dem nur der gotische Korpus (ohne Arme) bestand, dem Altar aufgesetzt. Der Altartisch ist wahrscheinlich noch der ursprüngliche aus dem 13. Jahrhundert. An seiner Vorderseite befindet sich hinter dem Vorhang (Antependium) die Öffnung, in der bei der Weihe die Reliquie eingelassen worden war, wie sie jeder Altar einer römisch-katholischen Kirche enthält. Die Reliquie wurde vermutlich in der Reformationszeit entfernt.
Frank Martin Brunn